A. Einleitung
Wenige Monate bevor Johann Bugenhagen 1528 nach Braunschweig kam, um die Reformation der Kirche dieser Stadt durchzuführen, trug sich hier ein Ereignis zu, das ich zu Beginn kurz schildern möchte.
Viele Bürger wünschten die Einführung der Reformation. Die Gegenpartei versuchte diese Entwicklung zu stoppen. Darum holte man 1527 einen namhaften Prediger aus der Magdeburg. Dieser suchte vor einer großen Volksmenge in seiner Predigt in der Brüdernkirche zu beweisen, daß der Mensch durch seine guten Werke selig werden könne. Da sprang ein Bürger auf und rief laut "Pape, du lügst!" und die ganze Gemeinde begann spontan zu singen, und zwar das Lutherlied "Ach Gott vom Himmel sieh darein", wo es im zweitem Vers heißt: "Sie lehren eitel falsche List, was eigen Witz erfindet ..."
Solche Vorfälle in einem Gottesdienst sind sicherlich nicht gutzuheißen. Dieser hier zeigt jedoch, daß die Bürger verstanden hatten, was drei Jahre später im V. Artikel der Confessio Augustana formuliert wurde: "Damit wir zu diesem [d. h. dem aus Gnade allein rechtfertigenden] Glauben kommen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben. Durch diese Mittel gibt Gott den Heiligen Geist, der bei denen, die das Evangelium hören, den Glauben schafft, wo und wann er will."1)
Im lateinischen Text der CA wird dieses Predigtamt "Ministerium" genannt. Der Begriff "sacerdotium" trat damit hinter dem Begriff "Ministerium" zurück. So hatte Luther schon in der Schrift "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche geschrieben: "... die Priester sind, wenn sie konsekrieren und darreichen unsere Diener (= ministri nostri), durch die wir nicht ein gutes Werk darbringen oder aktiv daran teilhaben, sondern durch die wir die Verheißungen und Zeichen empfangen und passiv Anteil empfangen, so wie es sich bisher mit den Laien verhielt, denn sie - so sagt man -, schaffen nicht etwas Gutes, sondern empfangen nur ..."2)
Und im Jahre 1533 schrieb Luther: "Das müssen wir gleuben und gewis sein, das die Tauffe nicht unser, sondern Christi sey, das Euangelion nicht unser sondern Christi sey, das Predig ampt nicht unser sondern Christi sey, das Sacrament [sc. des Altars] nicht unser sondern Christi sey, die Schlüssel oder Vergebung und Behaltung der Sünden nicht unser, sondern Christi sey. Summa, die ampt und Sacrament sind nicht unser, sondern Christi. Denn er hat solchs alles geordent und hinder sich gelassen jnn der Kirchen, zu uben und zu gebrauchen bis an der welt ende".
Auch sonst - z. B. in den Katechismuspredigten von 1528 - stellte Luther gern Predigt, Hl. Taufe, Hl. Abendmahl und das Schlüsselamt in dieser Weise als die vier Gnadenmittel zusammen. Programmatisch sind sie auf dem Altarbild Lukas Cranachs (1547) in der Stadtkirche zu Wittenberg dargestellt. Durch "Evangelium und Sakrament", d. h. durch diese Gnadenmittel wird der rechtfertigende Glaube den Menschen vermittelt.
Bei meinem kirchengeschichtlichen Überblick über die historische Entwicklung dessen, was in CA V als "Evangelium und Sakrament" bezeichnet wird, müßte ich darum eigentlich auch von der Taufe und vom Schlüsselamt sprechen. Ich muß mich aber auf die Geschichte der Predigt und des Heiligen Abendmahles beschränken, zumal dies die Wesensbestandteile der lutherischen Messe sind.
In Bezug auf das Wort "Messe" sind zuweilen Mißverständnisse aufgetaucht. In den Bekenntnisschriften findet sich dafür ein negativer und ein positiver Gebrauch.
Am bekanntesten ist der negative Gebrauch in den Schmalkaldischen Artikeln. Dort wird die Messe als "der größte und schrecklichste Greuel", als "Menschentand" u. a. bezeichnet. Diese scharfe Polemik richtete sich aber nicht gegen die "Messe" selbst, sondern speziell gegen die Privat- und Seelenmessen, die als verdienstliches Werk des Menschen angesehen wurden.
Dagegen wird positiv das Wort "Messe" für den Gemeindegottesdienst mit Predigt und Heiligem Abendmahl verwendet. Darum wird in CA 24 zurückgewiesen, daß man "die Messe abgetan haben solle", sondern es sei offensichtlich, "daß die Messe bei uns mit größerer Andacht und Ernst gehalten wird als bei den Widersachern".
B. Kirchengeschichtliche Betrachtung
1. Die reformatorische Predigt (an Hand des Beispiels der Braunschweiger Kirchenordnung Bugenhagens von 1528)
a. Die Häufigkeit der Predigt
Zuweilen findet sich die Meinung, in der mittelalterlichen Kirche sei gar nicht gepredigt worden. Das ist falsch. Der Jesuit Franz Bernhard Meyer stellte fest: "Wenn man sich mit vorreformatorischen Geschichtsquellen beschäftigt, staunt man über die reiche Fülle von Predigten. Die Gläubigen verlangten mit einem wahren Hunger nach der Verkündigung des Wortes Gottes. Obwohl erst das Trienter Konzil (sess. V, c 1) die Verpflichtung zum Predigen festlegte, hat man in Deutschland im Gegensatz zu den romanischen Ländern schon vor der Reformation regelmäßig gepredigt."
Weil aus Braunschweig relativ viel historische Zeugnisse aus dem Spätmittelalter wie auch aus der Reformationszeit vorliegen, möchte ich an Hand des Beispiels dieser Stadt aufzeigen, inwiefern die Predigt durch die Reformation neue Bedeutung erlangte.
Auch in Braunschweig wurde schon vor der Reformation regelmäßig gepredigt, und zwar in den sechs großen Pfarrkirchen jeden Sonntag um 7 Uhr in der Frühmesse und um 12 Uhr in den beiden Kirchen der "Predigerorden", der Brüdernkirche und der Paulinerkirche.
Bugenhagen ordnete eine wesentliche Vermehrung der Predigten an: In den Pfarrkirchen wurde nun sonntäglich zwei- bis dreimal gepredigt, und zwar früh um 4 Uhr, (bzw. im Winter um 5 Uhr) über ein Stück aus dem Katechismus, um 7 Uhr über das Evangelium (wie auch schon bisher) und um 12 Uhr am Sonntagmittag (abwechselnd) in jeweils 3 Kirchen über die Epistel des Sonntags. In zwei kleineren Pfarrkirchen blieb es bei einer Predigt (über das Sonntagsevangelium). Außerdem predigte am Sonntagmittag der Superattendent und sein Stellvertreter (der "Coadjutor") in Fortführung der mittelalterlichen Tradition in den beiden Predigerordenskirchen.
Neu waren die Predigten an den Wochentagen. In dreien der sechs großen Pfarrkirchen wurde nun täglich gepredigt. Außerdem hielt montags bis freitags nachmittags der Superattendent bzw. der Coadjutor in den beiden Kirchen der Predigermönche eine Predigt.
b. Die rechte Evangeliumspredigt
Natürlich kommt es nicht auf die Anzahl der Predigten an, sondern auf ihren Inhalt. Die große Anzahl der nun gehaltenen Predigten spricht freilich für sich und zeigt, wie sehr man sich nunmehr mühte, den "Hunger nach der Verkündigung des Wortes Gottes" zu stillen.
Wie der Jesuit Franz Bernhard Meyer weiterhin hervorhebt, war die allgemeine und theologische Bildung der Pfarrer im Mittelalter oft äußerst dürftig. Ihre Predigten verloren sich allzu oft in Fabeln. Um den Leuten die Predigt kurzweiliger zu machen oder sie wieder aufzuwecken, griffen selbst berühmte Prediger manchmal zu merkwürdig anmutenden Mitteln. Nicht selten brachten sie Absonderlichkeiten, Wundermärchen oder gar anstößige Anekdoten auf die Kanzel, um den Leuten zu gefallen oder sie zu verblüffen. Auch in Braunschweig gab es derartige Vorkommnisse. Jedenfalls glossierte Bugenhagen dies mit den Worten: "Quakkelprediger haben wir genug gehabt."
Nach Meyers Urteil blieb im Mittelalter in den Predigten der Zusammenhang mit der Heiligen Schrift rein äußerlich. Das Wort Gottes war nicht der eigentliche Gegenstand der Predigt. Bugenhagen betonte demgegenüber besonders Römer 10, 17: "So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes". Er selbst gab das Beispiel: Er hat während seines Braunschweiger Aufenthaltes, wöchentlich mehrmals gepredigt und täglich Vorlesungen über den Römerbrief und die beiden Timotheusbriefe gehalten.
Erstes Anliegen der reformatorischen Predigt war die klare Bezeugung des Evangeliums. Bugenhagen schrieb: "An guter Lehre oder Predigt nach Gottes Verordnung ist es ganz gelegen, daß das heilige Evangelium bei uns gedeihe".
Bei der Auswahl der Predigttexte fällt auf, daß Predigten über alttestamentliche Texte nicht vorkamen. Neben die Predigten über die Sonntagsevangelien traten aber nun Epistelpredigten. An den Wochentagen wurden Predigten über kursorische Texte aus dem Neuen Testament gehalten. Dazu kamen Katechismuspredigten, die - wie Bugenhagen betont - den Sinn hatten, "daß das gemeine Volk also lerne, was rechte christliche Gebote seien, rechter christlicher Glaube, rechtes christliches Gebet und was man von den beiden Sakramenten halten soll, die uns Christus mit seinem ewigen Worte in dieser Welt eingesetzt und befohlen hat."
Schließlich gab es viermal im Jahre (entsprechend den alten Quatemberzeiten) jeweils zwei Wochen lang werktags besondere Katechismuspredigten und in der Passions- und Osterzeit Predigten über die Passions- und Auferstehungsberichte.
Die Gelehrten wurden mit besonderen Predigten des Superattendenten und seines Stellvertreters, des "Coadjutors" eigens angesprochen. Bugenhagen selbst hat für die Gelehrten während seines Aufenthaltes in Braunschweig auch theologische Vorlesungen in lateinischer Sprache gehalten.
c. Die Zurüstung der Prediger
Der Zurüstung der Prediger für ihr Predigtamt wandte man sich mit der Einführung der Reformation mit großem Ernst zu. Im Anschluß an den schon zitierten Satz "Quackelprediger haben wir genug gehabt" schreibt Bugenhagen: "Wenn wir aber gute Prediger haben wollen, können wir kaum einen rechtschaffenen treffen, wie auch Christus sagt, Matth. 9, 37: ,Die Ernte ist groß, der Arbeiter sind wenig'. Wenn wir aber mit heimlichem und öffentlichem Gebet vom Predigtstuhl Gott anbefohlen haben, gute Prediger zu verschaffen, wollen wir auch das unsere dazu tun und es an nichts fehlen lassen, daß wir solche Diener des Wortes überkommen möchten."
Bugenhagen unterschied gute und schlechte Prediger: "Ein guter Prediger sorgt für die Seligkeit der Menschen und predigt das reine Wort Gottes, so wie es Christus den Predigern befohlen hat: 'Predigt das Evangelium (nicht Menschenlehre) allen Kreaturen' (Mark. 16, 15). Daraus kommt ohne Zweifel die Seligkeit ... Also gibt uns der Heilige Geist den Glauben an Christus durch die Predigt oder das Wort des Evangeliums. Er konnte wohl den Glauben anders geben, aber es gefiel ihm und er hat es verordnet, daß wir ihn so kriegen sollen." Mit "guten" Predigern sind also nicht solche gemeint, die ihre Predigt rhetorisch besonders eindrucksvoll vorzutragen wissen, sondern Prediger, die das Wort Gottes ohne Vermengung mit "Menschenlehre" vortragen.
Als schlechte ("böse") Prediger bezeichnet er dagegen solche, die "Menschenlehren, die Paulus 1. Tim. 4, 1, Teufelslehren nennt", predigen. "Denn, was nicht aus dem Worte Gottes ist, das ist aus menschlichem Herzen bedacht. Was [aber] daraus erdacht ist, als sei es göttlich und behilflich zur Vergebung der Sünde und zur Seligkeit, das ist eitel Lüge". Bugenhagens Urteil über "gute" Prediger, bzw. "böse" oder "schlechte" Prediger bezieht sich also nicht auf den Charakter der Prediger, sondern ergibt sich aus ihrer Predigt, nämlich: wieweit in ihr dem göttlichen Auftrag Rechnung getragen wird, das Wort Gottes und nichts anderes zu verkündigen.
Ganz im Sinne von CA V beschreibt Bugenhagen den Auftrag des Predigtamtes: "Daß uns aber solch ein Gnadenschatz nicht verborgen bleibe, sondern möchte unser eigen werden, hat er uns gesandt, und predigen lassen sein heiliges Evangelium, welches uns von unserem Verdienst (Phil. 3, 9) und von Menschensatzungen und -lehren (Kol. 2, 8; Matth. I5, 9) abweist und von Christus (Joh. 15, 26) und seinem Blut (Römer 3, 25) Zeugnis gibt, damit wir durch das gepredigte Evangelium Christus erkennen lernen und an ihn glauben und er so durch den Glauben unser eigen sei. Wenn er dann durch den Glauben in uns wohnt und unser eigen ist, so ist auch durch ihn Gott der Vater unser eigen und wir können als geliebte Kinder von ihm bitten alles, was uns zum Leben und zur Seele not ist, wie Christus auch mit dem Vaterunser lehrt."
2. Die reformatorische Feier des Altarsakramentes"
a. Die Häufigkeit der Sakramentsfeier
Das Sakrament häufig zu feiern und an die Gemeinde auszuteilen gehörte von Anfang an zu den Zielen der lutherischen Reformation. Im Großen Katechimus schrieb Luther: "Weil wir nun das rechte Verständnis und Lehre vom Sakrament haben, ist wohl auch eine Vermahnung und Anreiz notwendig, daß man nicht lasse solchen großen Schatz, den man täglich (!) unter den Christen handelt und austeilt, umsonst vorübergehen, das ist, daß diejenigen, die Christen sein wollen, sich dazu schicken, das hochwürdige Sakrament oft zu empfangen". Auch in den Kirchenordnungen finden sich immer wieder Ermahnungen zum häufigen Sakramentsempfang.
Dies bedeutet nicht etwa ein kirchengeschichtliches Novum, sondern damit wurden die altkirchlichen Gepflogenheiten wieder aufgenommen. Bis ins 4. Jahrhundert war es nämlich selbstverständliche Regel, dass alle, die bei der Eucharistiefeier anwesend waren, kommunizierten. Die "konstantinische Wende" brachte es dann mit sich, dass große Volksmassen, die nur oberflächlich bekehrt waren, in die Kirche eintraten. Dadurch wurde der Kommunionempfang immer seltener. Das 4. Laterankonzil (1215) verlangte dann die jährlich einmalige Kommunion. Franz Bernhard Meyer berichtet: "Die Kommunionhäufigkeit war das ganze Mittelalter hindurch recht gering. Im Spätmittelalter da und dort auftretende Bestrebungen, sie zu steigern, trafen auch von kirchlicher Seite auf Widerstand und konnten sich nicht durchsetzen, obgleich das Basler Konzil 1435 die häufige Kommunion gelobt hatte. Selbst in Klöstern und religiösen Gemeinschaften kommunizierte man selten öfter als einmal im Monat, und unter den Laien galten diejenigen für besonders fromm, die an den vier Hauptfesten zur Kommunion gingen."
Die heute auf römisch-katholischer Seite selbstverständliche Sitte, daß die Gläubigen häufig kommunizieren, ist keineswegs alt, sondern setzte sich erst seit 1905 (!) durch, nachdem Papst Pius X. die Kommuniondekrete "De quotidiana ss. Eucharistiae sumptione" erlassen hatte.
Zu dieser Zeit war aber in den evangelischen Kirchen die Sakramentsfrömmigkeit inzwischen wieder verkümmert. Es hatte sich ein Gottesdienstverständnis durchgesetzt, das die Sakramentsfeier dem "normalen" Gottesdienst nicht zuordnet. In Norddeutschland wurden noch vor wenigen Jahrzehnten Abendmahlsfeiern mancherorts nur am Karfreitag und Bußtag angesetzt.
Wesentliches Kennzeichen der gottesdienstlichen Erneuerung in der lutherischen Reformation war dagegen die regelmäßige Feier der Heiligen Messe der Gemeinde (d. h. des Gottesdienstes mit Predigt und Heiligem Abendmahl). In CA XXIV konnte darum festgestellt werden, daß die Messe "bei uns mit größerer Andacht und Ernst gehalten wird als bei den Widersachern".
Luther beklagte noch im Großen Katechismus, es gebe Leute, die ein, zwei, drei Jahre oder gar noch länger nicht kommunizieren, als seien sie so starke Christen, die das Sakrament nicht nötig haben. Diejenigen, die sich so lange vom Sakrament fernhalten, können nach Luthers Urteil nicht mehr als Christen gelten. Solche Leute kämen schließlich dahin, beides, das Sakrament und das Wort Gottes, zu verlieren. Luther verwahrt sich dagegen, er habe gelehrt, man solle nur dann zum Sakrament gehen, wenn man Hunger oder Durst danach verspüre.
Der Ruf zur häufigen Kommunion, der von der lutherischen Reformation ausging, wurde je länger je mehr angenommen. Die häufige Kommunion setzte sich durch. Die anfänglich nur geringe Anzahl der Kommunikanten wuchs schon sehr bald.
So berichtete der Augsburger Wolfgang Musculus, der 1536 an den Wittenberger Konkordien-Verhandlungen teilnahm, von drei Messen, die er in Wittenberg miterlebte. Er erzählt, daß zwar am Sonntag Cantate nicht ein einziger Mann kommunizierte, sondern nur einige Frauen3), daß aber am Himmelfahrtsfest etwa 50 Personen und am Sonntag Exaudi so viele Kommunikanten anwesend waren, daß während der Austeilung zwei Lieder ("Jesus Christus, unser Heiland" und "Gott sei gelobet") gesungen wurden.
Aus dem Jahre 1566 - also 30 Jahre später - gibt es in einer Chronik aus Antwerpen eine interessante Feststellung. Dort gab es damals nämlich schon ein gleichzeitiges Nebeneinander von römisch-katholischen, calvinistischen und lutherischen Gemeinden. Als Charakteristikum der Lutheraner hebt der Chronist die sonntägliche Feier der Gemeindemesse hervor, während er gleichzeitig bemerkt, daß die Calvinisten und die Römischen Katholiken nur wenige Male im Jahr das Sakrament an die Gemeinde austeilten.
Martin Chemnitz hat im "Examen Concilii Tridentini" die lutherische Position gegenüber der römischen herausgestellt, wie sie sich nach dem Tridentinischen Konzil darstellte. Die römische Kirche schrecke die Menschen vor allem durch die Privatmesse vom häufigen Empfang der Eucharistie ab. Es sei genug, einmal im Jahre zu kommunizieren. Das Konzil von Trient hatte definiert: "So jemand leugnet, daß alle Christgläubigen samt und sonders und beiderlei Geschlechts, wenn sie in die Unterscheidungsjahre gekommen sind, in jedem Jahre wenigstens um Ostern angehalten sind, zu kommunizieren, nach Vorschrift der heiligen Mutter Kirche, der sei verflucht."
Dazu bemerkt Chemnitz: "Ich hätte wohl gedacht, wenn das Konzil hierüber etwas festsetzen würde, würde man - selbst bei Beibehaltung der Sitte der Osterkommunion - dennoch die Menschen zu häufigerem und fleißigerem Gebrauch der Kommunion das ganze Jahr hindurch ermahnen ..." Statt dessen sei aber lediglich das alte Kirchengebot der einmaligen Kommunion im Jahr wiederholt worden. Allerdings sei das Wörtchen "wenigstens" in den Konzilsbeschluß eingefügt worden, so daß niemand, der die Kommunion häufiger begehre, daran gehindert werde. Aber es bleibe der Grundsatz, es sei genug, einmal im Jahr zu kommunizieren. Wenn jemand häufiger kommuniziere, werde dies freilich als ein nicht gebotenes, verdienstliches Werk angesehen.
Ebenso wie Luther im Großen Katechismus betont auch Chemnitz, daß Christus gesagt habe, "so oft ihr's trinket". Dieses "so oft" bedeute, "so oft man es für nützlich und notwendig erachte". Er begründet diese Notwendigkeit nicht aus dem subjektivem Empfinden der Gläubigen (wenn man Hunger oder Durst danach verspüre), sondern weil es eine notwendige Arznei ist, was er mit den Worten zum Ausdruck bringt: "Wir halten es für ein Heil- und Gegenmittel, das uns unser (barmherziger) Samariter auf unsere Wunden gibt."
Die Regel, wann und wie oft man kommunizieren solle, leitet sich nach Chemnitz, aus der Lehre von der Frucht und Wirkung der Eucharistie und aus der Selbstprüfung ab. Von diesen Grundlagen aus seien die Leute durch Lehren und Ermahnen zu häufigem Empfang der Eucharistie anzuregen.4) Wir seien keine wahren und gläubigen Diener Christi, wenn wir das Volk aus welchem Grunde auch immer vom häufigen Empfang der Eucharistie abführten oder abschreckten.
Chemnitz berief sich dabei auch auf das Beispiel der Alten Kirche und zitiert u. a. die Kirchenväter Hieronymus, Ambrosius, Augustinus und Chrysostomus, sowie auf Synodenbeschlüsse5). Die Forderung der jährlich nur einmaligen Kommunion stimme weder mit der Heiligen Schrift noch mit den Beispielen aus der Alten Kirche überein.
200 Jahre nach der Reformation waren in Leipzig zur Zeit Johann Sebastian Bachs die Meßgottesdienst liturgisch so reich ausgestaltet, wie man es heute oft nur bei Hochkirchlern findet. Diese Gottesdienste zogen große Mengen Kommunikanten an. In einer Dissertation6) hierzu heißt es: "Alles in allem ist zur Zeit Johann Sebastian Bachs in Leipzig bei der zwischen 1720 und 1750 fast gleichbleibenden Einwohnerzahl von 29.000 mit einer jährlichen Zahl von 45.000 bis 50.000 Kommunikanten zu rechnen." In den großen Leipziger Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai waren z.B. zwischen 1720 und 1740 jährlich jeweils zwischen 15.000 und 20.000 Kommunikanten verzeichnet. Der Sakramentsteil war "der zweite große Höhepunkt des Gottesdienstes". Es ist dies der Boden, auf dem die Bachsche Kirchenmusik gewachsen ist!
b. Die Unterweisung in rechtem Sakramentsverständnis
Bei seiner Sakramentsunterweisung unterschied Luther, (1526)7) zwei Dinge: "Zum ersten, was man glauben soll, das man auf Lateinisch nennt 'objectum fidei', das ist, das Werk oder Ding, das man glaubt oder daran man hangen soll ... Zum andern, der Glaube selbst, oder der Brauch, wie man deß, so man glaubt, recht brauchen sol ... . d.h. das, was inwendig im Herzen ist, ... wie sich das Herz gegen dem äußerlichen Sacrament halten soll." Ursprünglich hatte er vorwiegend über das zweite gepredigt. Als Karlstadt dann aber die Realpräsenz bestritt, rückte für ihn das erste, das "objectum fidei"8), stärker in den Mittelpunkt.
Im Großen Katechismus schreibt Luther daher: "Wie wir von der Heiligen Taufe gehört haben, so müssen wir von dem andern Sakrament auch reden, nämlich die drei Stücke: was es sei, was es nütze und wer es empfangen soll. Und solches alles, aus den Worten gegründet, dadurch es von Christo eingesetzt ist, welche ein jeglicher wissen soll, der ein Christ sein und zum Sakrament gehen will; denn wir sind's nicht gesinnt, die zuzulassen und es zu reichen denen, die nicht wissen, was sie da suchen oder warum sie kommen."
Es ging bei der Forderung der häufigen Kommunion also nicht darum, das Volk einfach nur in Scharen unkontrolliert an den Altar zu rufen, sondern man legte viel Wert darauf, das Volk über die Gabe des Sakraments, die Gegenwart des wahren Leibes und Blutes Jesu Christi, den würdigen Empfang des Sakraments und die daran geknüpften Verheißungen zu unterweisen. Diese Sakramentsunterweisung in Predigt und Unterricht stand keineswegs für sich allein. Hand in Hand damit ging die liturgische Bezeugung des Realpräsenzglaubens. Die liturgischen Zeremonien wurden nur da abgeschafft, wo sie dem biblischen Glauben widersprachen, wo sie diesen aber stützten und bezeugten, wurden sie gern beibehalten. Der Grundsatz, es müsse im Gottesdienst alles "möglichst schlicht" zugehen, war unbekannt. Dies belegt gerade der Satz aus der Augustana "... es ist offenkundig, daß die Messe - ohne daß wir uns rühmen wollen - bei uns mit größerer Andacht und mit mehr Ernst gefeiert wird als bei den Widersachern". Über der lutherischen Messe lag die "Faszination des Heiligen", die dem Realpräsenzglauben entsprach. Das hatte jedermann vor Augen:
Über das, was "Realpräsenz" eigentlich meint, besteht heutzutage auch in lutherischen Kirchen nicht immer Klarheit. Zuweilen wird sie mit der Verbalpraesenz (der Gegenwart Christi im Wort) verwechselt. Ein angesehener Kirchenpräsident betonte einmal mit Vehemenz: "Natürlich bekennen wir uns zur Realpräsenz im Brot und Wein.", fügte dann aber - in offenbarer Unkenntnis dessen, was Realpräsenz bedeutet - hinzu: "genauso wie wir uns auch zur Realpräsenz in der Predigt bekennen!" Realpräsenz und Verbalpräsenz sind aber zwei unterschiedliche Weisen der Gegenwart Christi. Realpräsenz ist Präsenz des Leibes und Blutes Christi in den res von Brot und Wein und somit eine andere Weise der Gegenwart Christi als die im Wort.
Luther schrieb gegen die Schwärmer: "Unsere Schwärmer wollen schlicht Christus und Seine Jünger verpflichtet haben, wo sie ein Wunderwerk Christi beschreiben, daß sie dazu schreiben sollen, es sei ein Wunderwerk. Wo diese dies nicht getan hätten, so wollen sie dadurch erstreiten, daß es weder ein Werk noch ein Wunder, sondern schlechthin nichts sei. Weil nun Christus spricht: 'Das ist Mein Leib' und setzt nicht hinzu, ,das ist ein großes Wunder', so sei das nichts, da Er sagt ,das ist Mein Leib' . Vernünftige redliche Leute sehen hier wohl, daß es eine Schande ist, solch ein Geschwätz unter die Leute auszulassen."
"Vernünftig" und "redlich" im Sinne Luthers ist es also, das Handeln Jesu beim heiligen Abendmahl als Wunder anzusehen, das heißt, als etwas, was unser Begreifen übersteigt. Dieses Wunder mit den Mitteln menschlicher Vernunft erklären zu wollen, ist unangemessen und im Sinne Luthers unvernünftig. Von da aus ist z. B. auch Luthers Haltung beim Marburger Religionsgespräch zu verstehen. Seine Gegner hatten einen anderen Vernunftbegriff, und auch heute scheint an dieser Stelle der Grund zu liegen, weshalb manch einer sich mit der Realpräsenz so schwer tut.
Wesentlich für das lutherische Sakramentsverständnis ist die Konsekration. Luthers Forderung, die Verba Testamenti wegen ihres Verkündigungscharakters über Brot und Wein hörbar laut zu sprechen bzw. zu singen, steht keineswegs im Gegensatz zum Konsekrationsverständnis, vielmehr sollte die Gemeinde hören und vernehmen, was jetzt auf dem Altar geschieht, nämlich, daß Christus selbst Brot und Wein durch Sein Wort segnet und zu Seinem Leib und Blut erklärt. Das Wort Christi begründet die Realpräsenz in den Elementen. "Accedat Verbum ad elementum et fit sacramentum" (= Das Wort kommt zum Element und daraus wird ein Sakrament.)9).
Die Transsubstantiation verurteilen Luther und die lutherischen Bekenntnisschriften nicht als falsche Lehre, sondern lediglich als eine sophistische Spitzfindigkeit. Denjenigen, die die Transsubstantiation glauben wollen, steht es nach Luthers Urteil frei, dies zu tun. Entscheidend ist nicht, ob (im Sinne der Scholastik) die Substanz des Brotes nach der Konsekration noch vorhanden ist oder nicht, sondern daß Christi Leib wahrhaftig da ist.10)
Für die diesbezüglichen dogmengeschichtlichen Zusammenhänge verweise ich auf Tom Hardts Dissertation "Venerabilis et adorabilis Eucharistia"11). Wie er zeigt, fußt der lutherische Realpräsenzglaube auf der altkirchlichen cyrillischen Christologie und der nominalistischen Tradition des Mittelalters. Der lutherische Realpräsenzglaube beinhaltet eine viel massivere Sakramentsauffassung als die thomistische Lehre, wie dies u.a. an Luthers Satz: "Panis est Corpus" zum Ausdruck kommt. Ich selbst habe in meinem Buch "Actio sacramentalis" manche liturgiegeschichtlichen Fakten hierzu herausgearbeitet.
Freilich: Der lutherische Realpräsenzglaube wurde mehr und mehr zurückgedrängt, und zwar nicht erst im Rationalismus, sondern bereits durch den Einfluß Melanchthons. Dieser hatte die Realpräsenz nicht auf Brot und Wein, sondern auf die Handlung bezogen. Während die lutherische Reformation einen großartigen Aufschwung der Sakramentsfrömmigkeit nahm, wurde damit zugleich der Keim zu ihrer Auflösung gelegt.
Hardt schildert eindrucksvoll z. B. den sog. "Große Adorationsstreit", bei dem die philippistische Seite die Elevation (das Emporheben des Sakraments nach der Konsekration) und die Adoration (die Anbetung des Sakraments nach der Konsekration) bekämpfte, während die lutherische Seite im Gefolge Luthers beides als sachgemäßen Ausdruck des Realpräsenzglaubens verteidigte. Zwar wurde der römische Gebrauch der Adoration außerhalb der Messe ("extra usum") von beiden, den Lutheranern und den Philippisten, verworfen, aber die Adoration innerhalb der Messe ("in usu"), wie sie nicht zuletzt auch in der Konkordienformel gelehrt wird, wurde von den Philippisten gemeinsam mit den Calvinisten mit Vehemenz als "Artolatria" (Brotanbetung) verworfen. Die Verwerfung der Messe als "vermaledeite Abgötterei" im "Heidelberger Katechismus" war nicht nur gegen die römische; sondern auch gegen die lutherische Messe gerichtet.
Hardt stellt fest: "... die melanchthonische Schule war es, die den Sieg heimtragen sollte, als ein neues [sc. das 17.] Jahrhundert anbrach. Damit war der konkrete Sakramentsglaube des älteren Luthertums als mittelalterlich verurteilt und abgewiesen und konnte nicht länger verteidigt oder überhaupt verstanden werden. Seine Kultgebräuche hörten auf. ..." Ich füge diesen Worten Hardts hinzu: Die Faszination des Heiligen, die über der lutherischen Messe lag, ging verloren.
Hardts Worte mögen überspitzt sein. Wahr ist jedoch, daß bis heute da, wo in der lutherischen Kirche der Realpräsenglaube in Leben und Glauben lebendige Gestalt gewinnt und dieser Glaube auch im Vollzug der Sakramentsfeier liturgisch zum Ausdruck gebracht wird, stets die gleichen Verurteilungen vorgebracht werden, die der Calvinismus seit je her gegen den lutherischen Sakramentsglauben erhob.
C. Aktuelle Betrachtung
Was bedeutet "Evangelium und Sakrament" in CA V heute?
Noch einmal erinnere ich an die eingangs erwähnte Begebenheit in der Braunschweiger Brüdernkirche 1527. Die Bürger, die damals gegen die Predigt der Werkgerechtigkeit protestierten, waren keine Theologen. Aber die Rechtfertigung aus Gnade erfüllte ihren Glauben und ihr Denken. Darum erhoben sie ihren Protest. Heuzutage dagegen scheint die Rechtfertigung allein aus Gnade lediglich als eine diffizile Theologenfrage angesehen zu werden. 1963 konnten sich selbst die Theologen des Lutherischen Weltbundes darüber nicht einigen. Aber auch die in der jüngster Zeit geführte Debatte um die "Gemeinsame Erklärung" wird nur von Fachtheologen (oder solchen, die sich dafür halten) geführt. Das einfache Gemeindeglied bewegt sie offensichtlich nicht. So steht es also heute um den Artikel, mit dem "die Kirche steht und fällt"!
Luther stellte die Frage nach dem gnädigen Gott unter dem Erschrecken über den Ernst des Gerichtes Gottes. Auch für den Menschen von heute kann aber urplötzlich die Frage nach dem gnädigen Gott aktuell werden. Dazu ein Beispiel: Vor etwas mehr als einem Jahr trug sich bei uns in Deutschland eine Katastrophe zu, die die gesamte Öffentlichkeit erschütterte. Ein Hochgeschwindigkeitszug entgleiste bei einem Tempo von 200 Stundenkilometern, krachte gegen einen Brückenpfeiler und ließ die von ihm getragene Brücke auf die Waggons stürzten. In wenigen Sekunden starben mehr als 100 Menschen. Eine allgemeine Erschütterung erfaßte die Menschen in ganz Deutschland. Die Schlagzeilen in den Zeitungen gaben wieder, was alle dachten oder aussprachen: "Wie kann Gott dies zulassen?" und "Wo war Gott, als dieses Unglück geschah?" Viele, die sich in ihrem Leben sonst wenig um Gott und die Kirche bemühen, bzw. - wie unsere deutsche Redensart sagt - "den lieben Gott einen guten Mann sein lassen", fragten plötzlich nach Gott. Sie fragten so auf ihre Weise nach dem "gnädigen Gott", der ihnen ebenso verborgen war wie für Luther vor der Entdeckung des "allein durch den Glauben".
Immer wieder ereignen sich Katastrophen und Unglücksfälle. Ich brauche nur an die Estonia-Katastrophe oder die jüngsten Erdbeben zu erinnern. Sie lassen die Fragen: "Wie kann Gott dies zulassen?" und "Wo war Gott, als dies geschah?" stets neu aufbrechen. Welche Antwort kann die Kirche geben? CA V sagt: Gott hat das Predigtamt eingesetzt, damit wir zu dem rechtfertigenden Glauben kommen, von dem zuvor in CA IV die Rede war. Zum rechtfertigenden Glauben kommen heißt, den gnädigen Gott finden und erkennen. CA V und CA IV sind also eng miteinander verknüpft. Aber ich füge hinzu: Auch die drei vorangegangenen Artikel I - III sind für sie eine wesentliche Voraussetzung. Die Artikel der Confessio Augustana sind nicht Glieder einer zufällig aneinandergereihten Kette. Auch die ersten drei Artikel sind für die Aufgabenstellung des Amtes nach CA V wesentliche Voraussetzung.
Ich gehe darum unter diesem Blickwinkel noch kurz auf CA I - III ein.
1. Zu CA I. Hier heißt es, daß "ein einziges göttliches Wesen sei, das Gott genannt wird und wahrhaftig Gott ist". Und der erste Artikel des Apostolischen Glaubensbekentnnisses beginnt mit den Worten "Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen ...". Menschen, die - wie die erwähnte Redensart sagt - "den lieben Gott einen guten Mann sein lassen", lassen ihn also nicht "den Herrn" sein. Sie erkennen Gott in ihrem Alltag nicht als den an, der er ist: Herr und allmächtig. Darum muß ihnen, wenn Gott in seiner Allmacht in ihr Leben eingreift sein Handeln so unbegreiflich erscheinen, daß sie an seiner Existenz überhaupt zu zweifeln beginnen. Die Predigt vom "lieben Gott" oder von der Liebe Gottes kann für sie darum zum Ärgernis werden.
Nach dem Zeugnis der Bibel, stellt Gott mit seinem Gerichtshandeln alle Selbstherrlichkeit des Menschen in Frage. Wo man dies über der Verkündigung der Liebe Gottes vergessen läßt, macht sich die christliche Verkündigung eines Versäumnisses schuldig. Auch für Abraham, Hiob und andere, deren Glaube auf harte Proben gestellt wurde, war Gottes Handeln unbegreiflich. Aber sie erkannten Gottes Allmacht gerade in der Unbegreiflichkeit seines Handelns an.
Aufgabe des Predigtamtes ist es also nicht, mit allgemeinen Worten von der Liebe Gottes, vom "lieben Gott" zu sprechen, sondern zugleich auch die Allmacht Gottes, der unbegreiflich hart richten kann, zu bezeugen. Nur auf dem Hintergrund des Gesetzes kann die befreiende Botschaft des Evangeliums erfahren werden.
2. Zu CA II. Es ist ein Irrtum, zu meinen, die Menschen der Moderne hätten durch ihr Erschrecken über die Umweltzerstörung den 1. Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses "Von der Schöpfung" wieder entdeckt. Tatsächlich bekamen Viele zwar die Schöpfung wieder ins Blickfeld, nicht jedoch Gott als den Schöpfer aller Dinge, nicht den Dreieinigen Gott, auch nicht die Tatsache, daß dieser Gott als der Allmächtige die Sünde der Menschen durch sein Gericht strafen kann. Solche Erkenntnis hat man erst dann, wenn man mit den Worten des Kleinen Katechismus sprechen kann: "... der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium erleuchtet".
Es ist nicht Aufgabe des Predigtamtes, dem Menschen mit vernünftigen Argumenten - das heißt außerhalb von "Evangelium und Sakrament" - Gottes Gerichtshandeln zu erklären. Solche Versuche, müssen fehlschlagen, weil - wie CA II sagt - "alle natürlich geborenen Menschen ... von Natur aus (das heißt: "aus eigener Vernunft und Kraft!) keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können." Mit diesen Worten ist genau die Situation des säkularen Menschen beschrieben, der mit der Frage "Wie kann Gott das zulassen" zum Ausdruck bringt, daß ihm die Erkenntnis Gottes fehlt.
3. Zu CA III. Dieser Artikel spricht von der Erkenntnis Gottes, die das Wort Gottes vermittelt, vor allem der, daß Gott in Jesus "Mensch geworden ist, geboren aus der reinen Jungfrau Maria", und von Jesus, der in sich "die zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, in einer Person untrennbar vereinigt", und der "... als wahrer Gott und wahrer Mensch, das Opfer ist nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden und Gottes Zorn versöhnt hat..." Dieses Opfer ist es, das die Rechtfertigung aus Gnade ermöglicht.
Peter Brunner schrieb hierzu schon 1957: "... Es ist unmöglich, die Rechtfertigung des Sünders dem Sünder zu bezeugen, wenn Jesus von Nazareth nicht wesenhaft Gott ist. In dieser Erkenntnis, daß Jesus wahrhaftiger Gott ist, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch ist, von der Jungfrau Maria geboren, darf doch wohl die Mitte des altkirchlichen Bekenntnisses gesehen werden. ... darin entscheidet sich gleichzeitig, ob wir das apostolische Evangelium in unserer Mitte bewahren."
Moderne Schriftauslegung, wie sie sich (insbesondere durch den Einfluß des Bultmannschen Ansatzes) in der historisch-kritischen Methode darstellt, geht davon aus, daß die Evangelien nicht Zeugnisse von historischen Ereignissen seien, weil die Evangelisten nur subjektive Glaubenszeugnisse wiedergaben, die möglicherweise sogar eines realen historischen Hintergrundes entbehren. Mit dieser Infragestellung der Historizität der biblischen Berichte wird faktisch auch und vor allem die Menschwerdung Gottes, das Bekenntnis zu Jesus als "wahrem Gott und Menschen" bestritten. Von diesen Voraussetzungen her kann die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade nicht im Sinne der Confessio Augustana verkündigt werden.
"Evangelium und Sakrament" sind dem Predigtamt gegeben, um den rechtfertigenden Glauben zu vermitteln. Sie sind die Mittel, durch die Gott den Heiligen Geist bei denen gibt, die das Evangelium hören, den Glauben schafft, wo und wann er will. "Evangelium und Sakrament" sind die Werkzeuge, die Gott benutzt, um den Heiligen Geist zu schenken. "Evangelium und Sakrament" - das sind die die Wesensbestandteile der lutherischen Messe. Diese umfaßt beides, Predigt und Heiliges Abendmahl. Hier im Gottesdienst, im Kultus, ist somit der Ort, wo die versammelte Gemeinde - und ihr auch der schlichteste Christ, der seinen Glauben nicht mir theologischen Begriffen definieren kann - die Rechtfertigung aus Gnade erfährt. Die Zurüstung derer, die das Predigtamt innehaben, muß darum das Ziel haben, das Wort Gottes so zu predigen, wie es geschrieben steht, und die Sakramente so zu verwalten, wie sie von Christus selbst eingesetzt sind.
Gott hat der Kirche das Predigtamt gegeben, damit er selbst durch die Predigt von Gesetz und Evangelium zur Gemeinde redet und er selbst ihr den Leib und das Blut Jesu Christi auf dem Altar darbietet. Wo der einzelne Christ in der Gemeinschaft der Kirche dies hört und empfängt, spürt und erfährt er, als Sünder begnadigt und von Gott angenommen zu sein. Dann wird klar, daß alles eigene Verdienst nichts taugt. Gott schenkt die Rechtfertigung allein aus Gnade. So schenkt Gott in Seiner Kirche den Heiligen Geist da, wo er es will, nämlich in Wort und Sakrament.
1) "Ut hanc fidem consequamur, institutum est ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta. Nam per verbum et sacramenta tamquam per instrumenta donatur spiritus sanctus, qui fidem efficit, fidem efficit, ubi et quando visurn est Deo, in his, qui audiunt evangelium, ..."
2) "Sunt enim sacerdotes consecrando et ministrando ministri nostri, per quos non offerimus bonum opus aut communicamus active, sed per eos promissiones et signum accipimus et communicamur passive, id quod in laicos hactenus permansit. Nam hi non dicuntur bonum facere sed accipere. Sacerdotes vero abierunt in impietates suas, facto sibi boni opere, quod communicent et offerent ex sacramento Dei, quo bonum acceptum oportuit."
3) "einige Weiblein"(= "paucae quaedam mulierculae").
4) Wörtlich: "Et ex his fundamentis homines docendi, monendi et exhortandi sunt ad crebriorem et frequentiorem usum Eucharistiae."
5) Z. B. diesbezügliche Beschlüsse der Regionalsynode von Agde/Gallien im Jahre 506
6) Günther Stiller in seiner Dissertation "Johann Sebastian Bach und das Leipziger gottesdienstliche Leben seiner Zeit", Berlin 1970.
7) In seinem "Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi wider die Schwarmgeister"
8) - "objectum fidei, das ist, das Werk oder Ding, das man glaubt oder daran man hangen soll."
9) Das Wort Augustins, ursprünglich auf die Taufe bezogen, wurde- von ihm auf das Altarsakrament angewandt.
10) Die Transsubstantiationslehre ist freilich ebenso unangemessen wie eine Irrlehre, weil sie dem Charakter des wunderhaften Tuns Christi nicht gerecht wird. Ebenso haben sich später die Lutheraner heftig zur Wehr gesetzt, als von seiten ihrer Gegner ihre Lehre als Konsubstantiationslehre bezeichnet wurde, weil eine solche Lehre ebenso unangemessen ist wie die Transsubstantiationslehre.
11) Diese schwedische Dissertation ist in deutscher Übersetzung 1988 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.